Ich bin Fotograf und kein Koch …
Oktober 1, 2006 — 0:01

Gespräch mit National Geographic Fotograf Gerd Ludwig über seine Eindrücke des Visa pour l‘ Image in Perpignan 2006 und die Situation im internationalen Fotojournalismus. Das Gespräch erschien in der deutschen Ausgabe der Zeitschrift visuell 6/2006 und als englische Übersetzung in der internationalen Ausgabe 5/2006.

Mit einer Ausstellung im Programm des internationalen Festivals VISA POUR L‘ IMAGE in Perpignan präsentiert zu werden, ist für jeden Fotojournalisten eine besondere Auszeichnung. Der VISUM Fotograf Gerd Ludwig, der seit Jahren zur Stammmannschaft von National Geographic gehört, ist in diesem Jahr bereits zum dritten Mal mit einer Ausstellung in Südfrankreich vertreten. Vor der diesjährigen Ausstellung, The Long Shadow of Chernobyl, wurde 1995 seine Arbeit Lethal Legacy, Pollution In the USSR gezeigt. 2002 folgte seine Ausstellung Broken Empire – After the Fall of the USSR gleichzeitig mit dem Erscheinen des gleichnamigen Buches.

VISUELL: Die Arbeit wurde ja bereits in Ausstellungen gezeigt, was unterscheidet diese Präsentation in Perpignan von den vorangegangenen?

Gerd Ludwig: Die anderen Ausstellungen, unter anderem im Willy Brandt Haus in Berlin, waren Gruppenausstellungen, in denen ich auch Fotos aus Tschernobyl aus früherer Zeit gezeigt habe. Dies ist die erste grosse Tschernobyl-Einzelausstellung nur mit aktuellen Fotografien. Entscheidend für mich ist aber auch das Umfeld der Ausstellung. Die Fotos hängen hier auf dem wichtigsten internationalen Festival für Fotojournalismus. Der Organisator des Festivals, Jean-Francois Leroy, sucht weltweit nach den besten Reportagen für diese Präsentation. Nach meinen Informationen sichtet er dazu fast 4.000 Reportagen pro Jahr, um dann 30 davon in Ausstellungen zu zeigen. Die Ausstellungen hier werden von einem kenntnisreichen Publikum gesehen. Hier treffen sich Berufskollegen aus aller Welt, bewerten die Arbeiten und kommentieren sie. Dazu kommen die Besucherscharen, am Wochenende haben täglich 2.000 Menschen meine Ausstellung gesehen. In Deutschland fehlt solch ein wirklich internationales Festival, das auch Besucher aus dem Ausland in nennenswerter Zahl anzieht. Anders als  z.B. im Automobil- oder im Buchbereich, wo mit der Automobilausstellung oder der Frankfurter Buchmesse die wichtigsten Veranstaltungen ihrer Branche in Deutschland stattfinden, gibt es für den Fotojournalismus in Deutschland zur Zeit keine internationale Veranstaltung, denn die Photokina ist vorrangig eine Technologiemesse.

VISUELL: Ein häufig gehörter Kritikpunkt ist das sehr eng gefasste Verständnis von Fotojournalismus. Gezeigt werden vor allem Krieg und Elend, überwiegend aus der dritten Welt. Gibt es keine anderen Themen?

Gerd Ludwig: Natürlich bilden diese Themen einen Schwerpunkt des Festivals. Hier werden in großer Zahl Arbeiten gezeigt, die Missstände anprangern. Daneben werden aber auch andere Themen gezeigt, in diesem Jahr zum Beispiel Elliott Erwitt’s Personal Best. Aber eines ist klar: In Perpignan geht es um klassischen Fotojournalismus, das ist das Konzept des Festivals, wer etwas anderes sehen möchte, ist hier falsch.

VISUELL: Bezogen auf die Bildsprachen kann man ein ähnlich eng gefasstes Verständnis feststellen. Hier wird ausschliesslich die klassische Kleinbildreportage gezeigt. Junge Bildsprachen finden hier keinen Raum.

Gerd Ludwig: Ich habe mit dem hier gezeigten keine Probleme. Ich möchte das auch gar nicht werten und natürlich kann man Fotojournalismus auch weiter fassen. Meine Bildsprache ist jedoch der klassische Fotojournalismus.

VISUELL: Unter Fotojournalismus versteht man hier in Perpignan vor allem die Darstellung der Folgen von Kriegen und Krisen. Müssten Fotojournalisten denn aber nicht viel stärker versuchen, statt der Wirkungen von Auseinandersetzungen, ihre Ursachen zu zeigen, um so zu wirklichen Veränderungen beizutragen?

Gerd Ludwig: Gegenfrage: Was sind denn die Ursachen?

VISUELL: Zum Beispiel die ungleiche Verteilung von Kapital und Produktionsmitteln.

Gerd Ludwig: Den Überfluss der westlichen Industriegesellschaften sehen wir jeden Tag vor unserer Haustür, genau das wurde vor ein paar Jahren mit den Arbeiten von Lauren Greenfield über die Hollywood Kids gezeigt. Fotografie stösst irgendwann einfach an die Grenzen der Darstellbarkeit von Zusammenhängen. Ich kann nur den Krieg im Irak zeigen, dass es dabei um die Kontrolle der Ölvorkommen geht, kann ich in Fotos nicht darstellen. Das kann Fotografie nicht leisten, da ist Fotografie allein das falsche Mittel. Das können Worte oder Dokumentarfilme besser.

VISUELL: Arbeiten deutscher Fotografen sind in Perpignan sehr selten zu sehen. Woran liegt das?

Gerd Ludwig: Das hängt mit der mangelnden Auseinanderstzung deutscher Fotografen mit Themen von globalen Dimensionen zusammen. Deutsche Fotografen suchen immer den deutschen Ansatz, statt sich mit den internationalen Dimensionen eines Themas zu beschäftigen. Sie fotografieren lieber deutsche Sextouristen in Thailand, statt sich des globalen Themas Sextourismus zu widmen. Deutsche Fotografen lösen sich zu selten vom nationalen Kontext und haben eine Scheu, sich zu internationalen Themen zu äußern. Sehen Sie doch nur den Fall der Mauer, Antony Suau und James Nachtwey lieferten die wichtigsten Fotos. Selbst bei diesem Weltereignis im eigenen Land traten deutsche Fotografen kaum in Erscheinung. Auf der anderen Seite interessiert die Umwandlung der Zechen im Ruhrgebiet in Freizeitanlagen international niemanden. Man muß natürlich sehen, dass die heutige Situation auch historische Ursachen hat. Zwar ist Deutschland die Wiege des klassischen Fotojournalismus, durch die Nazi-Herrschaft und das Dritte Reich kam es aber zu einem Exodus an genialen Journalisten und Blattmachern wie Erich Salomon, Felix H. Man, Alfred Eisenstaedt und vielen anderen, der immer noch Folgen hat. Und da Deutschland keine bedeutende Kolonialmacht war und daher keine Einflussbereiche hatte, kam es selten zu einer direkten, emotionalen Auseinandersetzung deutscher Fotojournalisten mit Themen der dritten Welt. Sicher spielt aber auch die Ausbildung der Fotojournalisten in Deutschland hier eine Rolle. Es ist doch bezeichnend, dass nur Prof. Rolf Nobel aus Hannover hier ist und mit seinen Studenten eine Ausstellung zeigt.

VISUELL: Sie arbeiten fast ausschliesslich für die amerikanische Ausgabe von National Geographic, warum sieht man Sie nicht öfter in deutschen Magazinen?

Gerd Ludwig: Ich arbeite im Moment 80 % meiner Zeit für National Geographic, manchmal auch direkt für die deutsche Ausgabe. Hier habe ich einfach sehr gute Bedingungen. Natürlich würde ich gerne auch öfter für deutsche Magazine fotografieren, dazu müssten aber die Bedingungen stimmen. Das heißt neben einem vernünftigen Honorar auch ausreichend Zeit, sich dem Thema zu widmen und die Fotos in der Qualität zu erarbeiten, die ich mir vorstelle. Dazu gehören übrigens auch Tagesspesen – ich will schließlich fotografieren und mich nicht aus finanziellen Gründen mit dem Zubereiten der Mahlzeiten für meinen Assistenten und mich beschäftigen. Im Moment ist es doch so, daß deutsche Fotografen im eigenen Land das im Journalismus verdiente Taschengeld durch Werbung aufbessern müssen.

Gerd Ludwig

1947 geboren in Alsfeld / Hessen

1969 bis 1972 Studium Fotografie Folkwang Schule Essen bei Otto Steinert

Seit 1972 Fotograf für Magazine wie DER SPIEGEL, GEO, LIFE, stern, ZEITmagazin u.v.a.

Seit 1989 Reportagen für NATIONAL GEOGRAPHIC

Seither in der Stammmannschaft von NATIONAL GEOGRAPHIC

Mitglied bei VISUM seit 1974 (Gründungsmitglied)

http://www.gerdludwig.com